Steißlinger Kreis
2.2.Der Steißlinger Kreis
Quelle:
Psychodynamische Körperpsychotherapie, von P. Geißler, 2017, Verlag Vandenhoeck & Ruprecht, S. 15ff.
Die Neubewertung des Agierens hatte zur Folge, unbewusste Handlungsdialoge in der therapeutischen Beziehung als potenziell fruchtbares therapeutisches Material zu betrachten. Die Grenze „beginnt dort, wo der Analytiker nicht nur mit inneren und äußeren Wahrnehmungen und deren Verarbeitung in verbalen Reaktionen reagiert, sondern aktiv körperliche Handlungen initiiert oder beantwortet“ (Worm, 2008, S. 223). An dieser Grenze kommt die psychodynamische Körperpsychotherapie in der Psychoanalyse ins Spiel.
Für Körperpsychotherapeuten ist eine „aktive Technik“ (z. B. in Form von Übungen) selbstverständlich und bedarf keiner grundsätzlichen Reflexion; anders in der Psychoanalyse, in welcher Handeln ursprünglich als gegen den therapeutischen Fortschritt gerichtetes „Agieren“ betrachtet wurde. In Österreich entwickelte sich Anfang der 90er Jahre an der Schnittstelle von Psychoanalyse und Bioenergetischer Analyse und unter dem Einfluss der Säuglingsforschung ein Dialog (Geißler, 1994), mündend in die Gründung einer bis heute bestehenden Kollegengruppe (Arbeitskreis für analytische Körperpsychotherapie, AKP), wesentlich beeinflusst durch den Belgischen Bioenergetiker Berliner (1994). Aus einem produktiven Austausch zwischen den Wiener Psychoanalytikern Rückert, Picker und mir ging das „Wiener Symposium Psychoanalyse und Körper“ hervor, das seit 1998 durchschnittlich alle zwei Jahre tagt; 2002 folgte die Zeitschrift „Psychoanalyse und Körper“.
Zeitgleich mit den österreichischen Entwicklungen formierte sich in Deutschland der Steißlinger Kreis (Heinzel, 2008), eine in methodischer Hinsicht ursprünglich gemischte Kollegengruppe mit einer Majorität an Psychoanalytikern. Dieser Kreis gilt seither als wichtigstes „Labor“ für die methodische Entwicklung der psychodynamischen Körperpsychotherapie. Verschiedene Bezeichnungen haben Eingang in die Literatur gefunden. So spricht Heisterkamp von leibfundierter analytischer Psychotherapie (Heisterkamp, 1993), Scharff (1995a, 1995b, 1998, 2007) von inszenierender Interaktion, Maaser et al. (1994) von körperbezogener Therapie. Maaz (2002), Moser (2002) und Geißler (1998) nennen den Ansatz analytische Körperpsychotherapie (manchmal auch abgekürzt analytische Körpertherapie). Für dieses Buch wurde im Hinblick auf den Titel der gesamten Buchreihe die Bezeichnung „psychodynamische Körperpsychotherapie“ gewählt.
Von Beginn an waren im Steißlinger Kreis der offene persönliche Austausch und das Einlassen in Selbsterfahrungsexperimente wichtig und konstituierend für die gemeinsame Arbeit. Persönliche Erlebnisse, berufliche Erfahrungsberichte und vorgestellte Fälle werden vor einem psychoanalytischen Hintergrund reflektiert und in methodischer Hinsicht diskutiert. Als Produkt der jahrelangen Gemeinschaftsarbeit entstand das Lehrbuch „Psychoanalyse der Lebensbewegungen“ (Geißler u. Heisterkamp, 2007). Seit 2009 finden Symposien des Steißlinger Kreises statt. Publizierende Vertreter des Steißlinger Kreises sind Heisterkamp
(2002), Moser (1989), Poettgen-Havekost (2007), Reinert (2004), Scharff (2007), Ware (2007), Westram (2013), Worm (2007a, 200b) und ich.
In diesem Kreis wird anhand leibhafter Erfahrungen das erlernt, was körperbezogen arbeitende Therapeuten auszeichnet: das aktive Herstellen therapeutisch relevanter Szenen, das Hineingehen in das Vergnügen, aber auch in den Schmerz der eigenen verkörperten Selbstwahrnehmung, gepaart mit der Fähigkeit, im subjektiven emotionalen Augenblick zu verbleiben (Prinzip der Unmittelbarkeit) – denn: Intersubjektivität ist Bewegung: Die nonverbale Bedeutung von „mit einer anderen Person sein“ wird
Intersubjektivität genannt (Fogel, 2013, S. 206). Sie ist direktes Ergebnis zwischenmenschlicher Resonanz, die während der Koregulation von Bewegungen, Empfindungen und Emotionen stattfindet (Trevarthen u. Aitken, 2001). Übertragung und Gegenübertragung sind daher nicht rein mentale Vorgänge, die sich in Fantasien, Bildern, Gefühlen oder gesprochenen Worten manifestieren. Unter einem ganzheitlichen Blickwinkel zeigen sie sich ebenso in Bewegung und
Mit-Bewegung. Da sich die ganzheitliche Sichtweise auch auf das Be-Handeln
bezieht, werden in der psychodynamischen Körperpsychotherapie ausdrücklich körperliche Zugänge als therapeutische Möglichkeit miteinbezogen.
Derzeitige Mitglieder des Kreises:
Bingel Elisabeth, Berlin
Geißler Peter, Wien
Kuck Bernd, Bonn
Motzkau Dagmar, Wülfrath
Rabenstein Susanne, Wien
Sogl Christina, Friedrichskoog
Westram Jutta, München
Willerscheidt Jochen, Solingen